Wenn des Nachbarn Haus brennt … Migration, Hoffnung und der Weg zur Veränderung – Kabakoo-Startup in Mali

Wenn des Nachbarn Haus brennt … Migration, Hoffnung und der Weg zur Veränderung - Kabakoo-Startup in MaliAutor: Yanick Kemayou (Foto links), Co-Gründer von Kabakoo Academies, Mali: Ein Gespenst geht um Deutschland – das Gespenst von Abschieberitis. Es soll schneller und im großen Stil abgeschoben werden. In der aktuellen Debatte um das Migrationspaket II wird schnell deutlich, dass schnelles und großangelegtes Abschieben von Migrant:innen keine Lösung ist, an die wirklich jemand glaubt. Es gibt Grenzen des Abschiebens, sowohl rechtlich als auch moralisch. Es gibt auch mehr oder minder schlimmere Varianten von Abschieberitis, die es zu heilen gibt. Doch die eigentliche Herausforderung liegt tiefer. Wie bei einem Brand im Nachbarhaus können wir nicht einfach die Hilfesuchenden aus der Nachbarschaft verscheuchen, die Tür schließen und hoffen, dass das Feuer von selbst erlischt.

Wir müssen aktiv werden und helfen, das Feuer zu löschen; auch um unseres eigenen Hauses willen. Genauso ist es mit der Migrationsfrage: Wir können nicht einfach die Grenzen schließen, abschieben und hoffen, dass das Problem verschwindet. Wir müssen die Ursachen von Migration bekämpfen und Perspektiven vor Ort schaffen, insbesondere für die junge Bevölkerung in Afrika, die trotz aller Widrigkeiten optimistisch in die Zukunft blickt.

Das Leben ist hart, das Wetter spielt verrückt, das Klima ist angeheizt
Jedes Jahr fliehen 24 Millionen Afrikaner:innen von den Dörfern in die Städte, auf der Suche nach einem besseren Leben. Die Klimakrise ist bereits auf dem Kontinent, besonders in der Sahel-Region, deutlich zu spüren. In Ländern wie Burkina Faso oder Mali, wo 60 Prozent der Bevölkerung jünger als 25 sind, steigen die Temperaturen 1,5-mal schneller als im Rest der Welt und werden voraussichtlich bis 2080 um 2 °C bis 4,3° C ansteigen. Das Leben im Sahel ist hart, das Wetter spielt verrückt, das allgemeine Klima ist angeheizt. Doch die junge Bevölkerung ist optimistisch. Umfragen zeigen, dass fast die Hälfte der jungen Menschen im Sahel ihr Leben dort als sehr hart beschreibt. Aber – und das ist das Erstaunliche – fast 60 Prozent sind optimistisch in Hinblick auf die Zukunft.

Wenn des Nachbarn Haus brennt … Migration, Hoffnung und der Weg zur Veränderung - Kabakoo-Startup in Mali
Das Gründungsteam Michèle Traoré und Yanick Kemayou

Mit Kabakoo, einem Start-up, das ich mitbegründet habe, bedienen wir diesen Optimismus. Unsere Arbeit besteht aus der Bereitstellung digitaler, wissenschaftlich fundierter Lern-Inhalte mittels einer KI-basierten App sowie dem Aufbau und Austausch einer Community – mit derzeit mehr als 30.000 registrierten Lernenden in der Sahel-Region und 90 Mentor:innen aus 17 Ländern.

Perspektiven schaffen durch Bildung, Technologie und Community-Aufbau
Mit Bildung, Technologie und Perspektiven leisten wir durch Kabakoo das Unsrige, um den Brand im Nachbarhaus zu bekämpfen. Nehmen wir das Beispiel von Boubou D., einem 24-jährigen jungen Mann aus Bamako, Mali. Boubou hat die Schule mit einem mittleren Schulabschluss abgeschlossen und sich seitdem mit verschiedenen Gelegenheitsjobs durchgeschlagen. Als er aus seinem Dorf in die Stadt zog, hatte er noch nie zuvor mit einem Computer gearbeitet. Seine Familie und Freunde rieten und drängten ihn, sein Glück in Europa zu versuchen und die gefährliche Reise über die Sahara und das Mittelmeer auf sich zu nehmen. Ich sagte ihm 2020 jedoch: “Bitte gib dir mit Kabakoo eine letzte Chance.” Weniger als drei Jahre später hat Boubou sein Leben komplett verändert. Er leitet nun ein kleines Agritech-Unternehmen, das Bewässerungsanlagen für Bauern in der Region anbietet, und schafft sogar Arbeitsplätze für andere.

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Kabakoo-Student:innen

Ein weiteres Beispiel ist Ousmane K., ein 30-jähriger Mann mit einem Hochschulabschluss. In Mali gehörte er zu den nur 7 Prozent der Bevölkerung, die es zu einer Hochschulbildung schaffen. Doch auch er stand nach seinem Abschluss vor dem gleichen Problem wie Boubou: kein Job, keine Perspektive. Durch einen Lehrgang bei Kabakoo konnte er sich weiterbilden und gemeinsam mit zwei Kabakoo-Kommilitonen ein Recycling-Unternehmen gründen.

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Die Kabakoo-Community

Diese Geschichten zeigen, dass Bildung und Perspektiven der Schlüssel zur Veränderung sind. Wenn junge Menschen in Afrika lernen, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und vor allem vor Ort Perspektiven zu sehen und zu verwirklichen, können sie nicht nur ihre eigene Zukunft gestalten, sondern auch einen positiven Beitrag zur Entwicklung ihrer Region leisten. Dadurch löschen sie selbst das Feuer im Hause.

Deutschland oder gar Europa sollten und müssen also nicht alleine den Brand löschen. Trotz der wichtigen Debatte um die Folgen von Kolonialisierung und die dadurch entstandene Zementierung von asymmetrischen, global-wirtschaftlichen ökonomischen Strukturen geht es mir nicht um Schuldzuschreibungen. Es geht darum, gemeinsam in eine Richtung zu schauen, in Richtung Hoffnung und Optimismus.  Es geht darum, den Brand gemeinsam schneller und im großen Stil zu bekämpfen.

Autor
Yanick Kemayou ist Co-Gründer und Chief Learning Officer von Kabakoo Academies, das er gemeinsam mit Michèle Traoré 2018 ins Leben rief. Dass sie Kabakoo als eine der innovativsten Bildungsangebote weltweit (2020 benannte das World Economic Forum Kabakoo Academics als eine der 16 Schools of the Future) gründeten, ist untrennbar verbunden mit den eigenen Biografien.
Yanick Kemayou ist als junger Mann aus Mangel an beruflichen Perspektiven selbst aus Kamerun nach Deutschland gegangen, Michèle Traore, gebürtige Malierin, zog bereits mit 10 mit ihrer Mutter nach Frankreich. Beide erlebten, was Emigration bedeutet, nutzten aber auch die Chancen in Europa, um zu studieren und zu arbeiten – Yanick Kemayou als Hochschullehrer für International Business Studies an verschiedenen Universitäten, Michèle Traoré in verschiedenen Organisationen, die internationale Beziehungen fördern. Mit ihrem Hintergrund aus dem Bildungssektor sowie im Projektmanagement und Kommunikation gründeten sie Kabakoo, um jungen Afrikaner:innern aus der Sahelzone durch Upskilling die Perspektiven zu eröffnen, die ihnen als junge Menschen verwehrt waren. Ihre Überzeugung ist, dass Wandel und Wertschöpfung in der Region möglich sind, aber nur, wenn dieser Wandel in den Köpfen beginnt – bei Einheimischen sowie bei allen, die die Region fördern wollen.

Quellen:
Dieng, A. (2021). The Sahel: Challenges and opportunities. International Review of the Red Cross, 103(918), 765-779. doi:10.1017/S1816383122000339.
IRC. (2023). Watchlist Insight: Climate and Humanitarian Crisis in the Central Sahel.
United Nations. Economic Commission for Africa. (2017). Urbanization and Industrialization for Africa’s Transformation.