Ukraine-Einheitsfront? Die Afrikaner spielen nicht mit

Ukraine-Einheitsfront? Die Afrikaner spielen nicht mit
März 2022: UNO-Abstimmung zur Verurteilung des russischen Einmarschs in der Ukraine

Vor allem afrikanische Staaten tun sich schwer damit, Russland wegen des Ukrainekrieges zu verurteilen. Viele haben Angst, wie bereits in der Vergangenheit zwischen die Fronten zu geraten.

Kein Kontinent tut sich schwerer damit, Russland wegen des Ukrainekrieges zu verurteilen, als Afrika. Das fiel erstmals Anfang März 2022 auf, kurz nach Beginn des Krieges, als sich von den 54 afrikanischen Teilnehmern 17 enthielten (darunter Algerien, Mali und Südafrika), acht stimmten gar nicht erst ab (wie etwa Äthiopien, Kamerun und Burkina Faso), Eritrea sprach sich sogar gegen eine Verurteilung aus. Einige afrikanische Nationen sehen in den Kämpfen in der Ukraine zudem einen Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA, in den sie sich nicht hineinziehen lassen wollen, hieß es sogar im US-Nachrichtensender CNN.

Aus Angst davor – wie bereits in der Vergangenheit – zwischen die Fronten zu geraten, enthielten sich deswegen viele Länder. Hinzu kommt, dass einige afrikanische Staaten der NATO die Schuld am russischen Einmarsch geben. Das Militärbündnis habe den Kreml über Jahre immer weiter in die Enge getrieben – bis Putin am Ende gar keine andere Wahl gehabt habe, als die russischen Sicherheitsinteressen militärisch zu verteidigen. „Der Krieg hätte vermieden werden können, wenn die NATO im Laufe der Jahre die Warnungen aus den eigenen Reihen beherzigt hätte, dass ihre Osterweiterung zu mehr und nicht zu weniger Instabilität in der Region führen würde“, sagte der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa.

Afrikanische Beobachter glauben, dass die bisherigen Waffenlieferungen zu einer immer umfassenderen Zerstörung der Ukraine geführt haben. Sie plädieren für einen baldigen Waffenstillstand und Verhandlungen, damit das Sterben aufhört. Sie fürchten vor allem, dass der Krieg langfristig ihre Ernährungssicherheit bedroht. (Derzeit sind vor allem Tunesien und Ägypten von Getreideimporten aus der Ukraine und Russland abhängig. In anderen Ländern im tropischen Afrika wird Weizen hauptsächlich in den Städten konsumiert. Auf dem Lande sind Maniok, Hirse, Gerste, Reis und Mais Grundnahrungsmittel.)

Während die Medien hierzulande der Realität vollkommen entrückt sind und behaupten, die Welt stehe mehrheitlich gegen Russland, zeigt ein Blick auf den afrikanischen Kontinent: Von einer Einheitsfront kann nicht die Rede sein. Der ehemalige Berater von Laurent Fabius und spätere Premierminister Benins, Lionel Zinsou, erläuterte im Debattierklub „Cercle des Nouveaux Mondes“ in Paris seine Einschätzung der Sicht afrikanischer Staaten angesichts des Verhaltens des Westens und insbesondere Frankreichs. Er erinnerte auch daran, dass viele afrikanische Staaten nach ihrer Unabhängigkeit von der Sowjetunion unterstützt wurden. Zugleich verurteilte Zinsou den medialen Lärm des Westens, der an größeren Kriegen und humanitären Katastrophen beteiligt war und ist, wie aktuell zum Beispiel im Jemen – ohne dass es hier zu einem öffentlichen Aufschrei, verbunden mit nennenswerter Hilfsbereitschaft, komme. „Ich will nicht über Demokratie sprechen, und Ihr werdet mich, einen Afrikaner, auch nicht mit Euren Geschichten über die unglückselige Ukraine und mit Rufen nach Humanität rühren. Eure Demokratie ist Eure Sache. Es besteht keine Notwendigkeit, uns Eure Vorstellungen aufzudrücken, wie wir Afrikaner leben sollten. Noch mal! Sucht nach Kompromissen, lasst die Diplomaten ran“.

Was die gegen Moskau verhängten Sanktionen anbelangt, so werden sie in Afrika im Allgemeinen als ein Instrument betrachtet, das der Westen selektiv und nicht unbedingt effektiv gegen Staaten einsetzt. Man beklagt westliche Doppelmoral: Der Westen kommuniziere der Welt, dass er das Recht der Ukrainer verteidige, selbst über das eigene Schicksal zu bestimmen. Er wolle aber anderen Staaten das Handeln diktieren. Das gilt z.B. für die Unterstützung von Saudi-Arabien im Krieg im Jemen. Damit verliere man den Rückhalt im globalen Süden. Im Moment entstehe der Eindruck, dass der Westen die Moral instrumentalisiere.

Minsker Abkommen offenbar nie ernst genommen?
Die Aussage von Angela Merkel im Zeit-Interview vom 7. Dezember 2022, dass das Minsker Abkommen 2014 der Versuch war, der Ukraine Zeit zu geben, wurde auch in Afrika zur Kenntnis genommen. Die Ukraine habe diese Zeit auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sehe. Diese Äußerung wurde in Afrika so verstanden, dass das Minsker Abkommen nie ernst genommen und ein Konflikt in Kauf genommen wurde.

Deshalb wird in vielen afrikanischen Staaten nicht nur ein Konflikt zwischen Russland und der Ukraine gesehen, sondern die Eskalation langjähriger Spannungen, die nicht auf diplomatischem Wege durch Vereinbarungen wie das Minsker Abkommen gelöst werden sollten. Afrikanische Politiker und Wissenschaftler verweisen daher auf die bereits bestehenden Spannungen, die durch die fortgesetzte Osterweiterung der NATO nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden sind, und auf das Versagen der betroffenen Parteien, diese auf diplomatischem Wege zu lösen.

Europa ist für die afrikanischen Länder auch immer weniger wichtig, während andere Akteure eine größere Rolle spielen: China finanziert zahlreiche Infrastrukturprojekte; Russland verspricht neue Investitionen, während russische paramilitärische Organisationen zunehmend auf dem Kontinent aktiv sind. Auch die Türkei baut ihre Rolle auf dem Kontinent aus.

Lawrow reist – Biden hat keine Zeit für bilaterale Gespräche
Seit 2015 hat Russland rund 19 Militärabkommen mit afrikanischen Regierungen geschlossen. Kürzlich war der russische Chefdiplomat wieder auf dem Kontinent unterwegs. Gerade hat Lawrow einen zweitägigen Besuch im westafrikanischen Mali beendet, von wo sich Frankreich und Deutschland mehr und mehr zurückziehen müssen. Im Anschluss reiste Lawrow in den Sudan. Auch Besuche in Tunesien, Mauretanien, Algerien und Marokko stehen Berichten zufolge an. Im Januar war Lawrow bereits im südlichen Afrika; davor in Ägypten, der Republik Kongo, Uganda und Äthiopien. Für Juli ist ein Russland-Afrika-Gipfel in St. Petersburg geplant. Es ist eine Charmeoffensive ohnegleichen, die auch zeigen soll: Der Kreml ist international nicht isoliert. Moskau ist dort willkommener, als es sich der Westen wünschen würde. Viele Regierungen stehen dem Kreml positiv oder neutral gegenüber.

Lawrows Afrika-Reisen sind auch eine Reaktion auf den von US-Präsident Joe Biden einberufenen Afrika-Gipfel im Dezember. Washington will die Wirtschaftsbeziehungen verbessern, Sicherheit, gute Regierungsführung und die Zivilgesellschaft stärken. „Dennoch wird Afrika kein Schwerpunkt der amerikanischen Regierung werden. Das dominierende politische Brennglas in Washington bleibt die geostrategische Konkurrenz mit China. Das ist keineswegs eine neue Entwicklung: Obwohl die Wahl des ersten schwarzen US-Präsidenten im Jahr 2008 in afrikanischen Ländern euphorisch gefeiert wurde, ignorierte dieser den Kontinent weitgehend“, schrieb Christian von Soest vom Giga-Institut in Hamburg 2021. Daran hat sich nach meinen Erfahrungen nichts geändert. Es war mehr als eine Ungeschicklichkeit, dass Biden auf dem Afrika-Gipfel keine Zeit für bilaterale Gespräche hatte.

Der Westen, und insbesondere Europa, könnte eine ernsthafte Politik entwickeln, um sein Engagement für Afrika zu untermauern und den weit verbreiteten Verdacht auszuräumen, dass er nur Verbündete gegen Russland braucht. Wenn man im Westen die Moral zum Argument macht, um Staaten zum Handeln zu bewegen, so ist das unglaubwürdig und unehrlich. (Quelle: achgut.com, mit freundlicher Genehmigung des Autors Volker Seitz*)

*Volker Seitz ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“ (dtv).  Inzwischen liegt das Buch aktualisiert und erweitert in elfter Auflage vor.