SOS Humanity: Neuer Bericht belegt Rechtsbruch und Unmenschlichkeit der EU auf dem Mittelmeer

SOS Humanity: Neuer Bericht belegt Rechtsbruch und Unmenschlichkeit der EU auf dem Mittelmeer

Berlin, Mittwoch 19 Juni 2024. Zum morgigen Weltflüchtlingstag veröffentlicht SOS Humanity heute den Bericht „Menschlichkeit über Bord“ mit Analysen zur andauernden humanitären Notsituation auf dem Mittelmeer. Der Bericht basiert auf Einsatzdaten, Zeugenberichten von aus Seenot geretteten Menschen sowie der Auswertung einer Umfrage, die an Bord des Rettungsschiffs Humanity 1 durchgeführt wurde. Dabei weist die zivile Seenotrettungsorganisation Rechtsbrüche und Menschenrechtsverletzungen seitens EU-Mitgliedstaaten nach und zeigt die unmenschlichen Folgen für schutzsuchende Menschen auf. Den Bericht finden Sie HIER.

Die Auswertung der exklusiven Umfrage und der Berichte von Geflüchteten liefern Erkenntnisse zu den Fluchtgründen und -erlebnissen von über das Mittelmeer fliehenden Menschen. Insgesamt 190 Personen, darunter ein Viertel Minderjährige, nahmen an der anonymen Umfrage teil, die zwischen September 2022 und Juni 2023 an Bord der Humanity 1 durchgeführt wurde. Die Umfrageergebnisse widerlegen eindeutig die allgemeine Wahrnehmung, dass es nur einen Grund für Flucht gibt.

„Es muss einiges zusammenkommen, bis sich ein Mensch entschließt, seine Heimat zu verlassen für eine ungewisse Zukunft in einem fremden Land ohne Rückhalt durch Familie und persönliches Netzwerk. Ganz zu schweigen von der Überwindung zur gefährlichen Flucht selbst“, sagt Wasil Schauseil, Sprecher von SOS Humanity und Mitautor des Berichts . „Die Gründe, aus denen Menschen aus ihrem Herkunftsland fliehen, sind vielfältig und hängen zusammen, wobei Krieg und Gewalt die Hauptgründe sind.“ Die meisten von der Crew der Humanity 1 geretteten Menschen kamen aus dem kriegsgebeutelten Syrien.

Schutzsuchende Menschen sind in Ländern wie Libyen und Tunesien, mit denen die EU und ihre Mitgliedstaaten explizit zur Abwehr von Migrationsbewegungen zusammenarbeiten, gravierenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Über die Hälfte der Befragten, die aus Libyen flohen, gab an, dort bis zu mehreren Jahren willkürlich unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert gewesen zu sein. Sie sind damit gemäß der unabhängigen „UN-Untersuchungsmission“ zu Libyen Opfer eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit.[i] Ein Viertel der Befragten versuchte vor der Rettung durch SOS Humanity bereits drei- oder viermal von Libyen aus das zentrale Mittelmeer zu überqueren.  So berichtet ein Geretteter aus dem Sudan an Bord der Humanity 1: „Ich habe versucht, das Mittelmeer zu überqueren. Das erste Mal war ich nicht erfolgreich. Beim zweiten Mal auch nicht. Ich war ein Gefangener in Libyen. Man muss viel bezahlen, um aus dem Gefängnis herauszukommen. […] Wir wurden geschlagen und auf viele schlimme Arten gefoltert. […] Ich hörte, dass es in Europa Menschenrechte gibt und sagte zu mir: Da muss ich hin!“

Anhand konkreter Einsatzerfahrungen weist der Bericht nach, wie unterlassene Hilfeleistung, die Auslagerung von Verantwortung an Drittstaaten sowie die Behinderung der Seenotrettung durch die EU und ihre Mitgliedstaaten – wie Italien und Malta – das Mittelmeer zu einer der tödlichsten Fluchtrouten der Welt machen.

„Schwarz auf weiß belegt der Bericht, wie Notrufe von Menschen auf der Flucht im zentralen Mittelmeer bewusst nicht an zivile Rettungsschiffe weitergegeben werden. Rettungen werden von europäischen Behörden behindert oder von der sogenannten libyschen Küstenwache unterbrochen, zum Teil mit Waffengewalt“, erklärt Mirka Schäfer, Politikexpertin bei SOS Humanity. „Wahlweise werden Menschen in Not wissentlich dem Ertrinken überlassen – ihr lautloses Verschwinden im weiten Meer ist menschenverachtend einkalkuliert – oder man lässt sie von Kriminellen, die man teuer bezahlt und fälschlicherweise als Küstenwache etikettiert, nach Libyen zurückschleppen. Das ist Völkerrechtsbruch. SOS Humanity fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, Europa als ‚Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts‘ wieder herzustellen, statt Flüchtlinge weiter zu entrechten und massenhaft im Mittelmeer sterben zu lassen.“

Die Seenotrettungsorganisation fordert außerdem ein europäisches, staatlich koordiniertes Seenotrettungsprogramm. Seit 2014 gelten mehr als 23.500 über das zentrale Mittelmeer geflohene Menschen als tot oder verschwunden.