Buchtipp: Osvalde Lewat „Ante Mortem“

Buchtipp: Osvalde Lewat „Ante Mortem“

Ante Mortem, Leben vor dem Tod, ist ein außergewöhnlicher Titel für die gedankenreichen Schilderungen dieser Neuerscheinung. Die zentrale Figur der Erzählungen ist Katmé Abbia, verheiratet mit Tashun, dem Präfekten der Hauptstadt. Der Roman beginnt mit dem plötzlichen Tod ihrer Mutter, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Diesen Tod sieht ihre Tante als unausweichliche Konsequenz des gesellschaftlich nicht akzeptierten Lebenswandels derselben. Katmés Mann legt Wert auf eine weitere, publikumswirksame Beerdigungszeremonie seiner Schwiegermutter. Daraus sollen sich Vorteile für seine politische Karriere entwickeln.

Aufschlussreich präsentiert Osvalde Lewat das Leben von Katmé in einem, so wie es scheint, afrikanischen Kontext.

Einen wichtigen Platz in Katmés Existenz nimmt Samuel ein, ein Freund aus Kindertagen. Mit ihm, der sein Atelier in einem Armenviertel hat, verbringt sie viel Zeit. Ihn begleitet sie bei seiner Arbeit als Künstler, unterstützt ihn finanziell und diskutiert mit ihm über seine Werke. Für Katmé ist es wichtig, sich mit ihm, dem sie vertraut, offen auszutauschen, über den belastenden Alltag mit ihrem Mann und ihren Verwandten.

Samuel bereitet mit viel Energie und ebenso widersprüchlichen Erwartungen und Gefühlen seine erste öffentliche Ausstellung vor. Er erhofft sich damit eine Anerkennung seiner Werke, Skulpturen und Fotos.

Gleichzeitig versucht Tashun, seine politische Karriere mit allen Mitteln voranzubringen. Dafür soll seine Frau die Vorbereitungen für die großangelegte Beerdigung treffen, sich um alles kümmern, damit seine damit verknüpfte Kampagne zu einem Erfolg wird. Sie wird beauftragt, einen angemessenen Platz für die Umbettung ihrer Mutter zu finden. Trotz ausgeprägter innerlicher Widerstände macht sich Katmé auf die Reise.

Sie sucht einen Weg, um ihre innere Balance zu finden, zwischen der Vergangenheit vor 20 Jahren und den Anforderungen ihrer gesellschaftlichen Einordnung und Rolle als Frau, die in der politischen Öffentlichkeit aufmerksam beobachtet wird.

Ihr Vertrauter Samuel ist kurz vor der jahrelang vorbereiteten Ausstellungseröffnung seiner zusammengetragenen Werke. Da erfährt Katmé, dass seine Ausstellung geschlossen ist und er ins Gefängnis eingeliefert wurde. Seine Verhaftung wird damit gerechtfertigt, dass er sich politisch kritisch geäußert habe. Zugleich wird seine Homosexualität durch einen diffamierenden Zeitungsartikel publik gemacht. In aller Öffentlichkeit wird er auf das Schärfste verurteilt. Katmé bittet ihren Mann, sich dafür einzusetzen, dass Samuel aus der Haft entlassen wird. Für ihn ist das nicht wichtig. Er befürchtet vielmehr, dass ein Einsatz für den Freund seiner Frau seinem politischen Weiterkommen schadet.

Katmé besucht Samuel im Gefängnis, bringt ihm Essen und Geld. Letzteres, um seine Haftbedingungen zu erleichtern. Sie ist erschüttert von den Einschränkungen und der täglichen Tortur, denen ihr Freund ausgesetzt ist. Sie versucht alle ihre Beziehungen zu aktivieren, auch über ihren Mann, um Samuel aus seiner schwierigen Situation zu befreien.

Die Beerdigungszeremonie mit viel Prunk, eingeladenen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist in vollem Gange, als Katmé erfährt, dass Samuel am Montag entlassen werde. Sie will ihn sofort sehen.

Nicht wie angekündigt, sondern am Wochenende kehrt Samuel in sein Atelier zurück. Dort fallen die Kinder aus seiner Umgebung über ihn her, behandeln ihn brutal. Er stirbt qualvoll.

Für Katmé bricht eine Welt zusammen. Sie muss eine Entscheidung für ihr weiteres Leben treffen. Das Geschilderte beleuchtet detailreich diese innere Zerrissenheit.

Spannend ist es, das Porträt einer Frau in einem afrikanischen Land der Gegenwart zu lesen. Es ist der Autorin gelungen, anschaulich die Prozesse im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Widerstand der gesellschaftlichen Normen und Werte zu vermitteln. Der Roman rückt die Reflexionen über Gesellschaften mit ihren Intrigen, dem Umgang mit der Homosexualität und ihren ungeschriebenen Gesetzen und Verboten ins Blickfeld. Wer sich tiefer mit dieser Thematik beschäftigen will, findet in dieser Veröffentlichung einen lohnenden Einstieg.

Osvalde Lewat, geboren 1976 in Garoua, Kamerun, hat 2022 den Grand Prix Panafricain de Littérature für diesen in Frankreich 2021 erschienenen Roman bekommen. In Deutschland erscheint er am 28. Juni 2024. Darüber hinaus ist sie preisgekrönte Kunstfotografin und Dokumentarfilmerin. (Theresa Endres)

Osvalde Lewat – ANTE MORTEM
Aus dem Französischen von Laura Haber
InterKontinental Verlag, 2024
292 Seiten, 26,00 Euro – ISBN 978-3-9823281-9-5